Neue Zürcher Zeitung: 22 November 2013
Rätselhafte Entführung
Im kommunistischen Kleinstaat Laos schien sich eine politische Öffnung anzubahnen – bis vor einem Jahr ein bekannter Aktivist spurlos verschwand. Die internationale Gemeinschaft reagiert empört.
Marco Kauffmann Bossart, Vientiane
Ng Shui Meng blickte in den Rückspiegel und sah, wie Sombath Somphone mit seinem Jeep auf der Thadeua-Strasse in Vientiane neben einem Kontrollposten der Polizei anhielt. Sorgen machte sie sich deswegen keine. Vielleicht handelte es sich um eine simple Ausweiskontrolle, oder der Motor des in die Jahre gekommenen Fahrzeugs bockte. Das Paar war an diesem Abend des 15. Dezembers 2012 mit zwei Autos unterwegs und hatte vereinbart, sich zu Hause zu treffen. Alarm schlug Ng erst, als Sombaths Handy wiederholt ins Leere klingelte und keines der Spitäler in der überschaubaren Hauptstadt von Laos an diesem Samstag Opfer von Verkehrsunfällen zu vermelden hatte.
Zwei Tage später sprach Ng beim Posten an der Thadeua-Strasse vor, bei dem sie ihren Mann zuletzt gesehen hatte. Ein hilfsbereiter Beamter zeigte ihr die Aufnahmen einer jener Überwachungskameras, die das autokratische Regime zur Abwehr «antisozialer Aktivitäten» installiert hatte. Auf dem Bildschirm erkannte sie den Jeep ihres Mannes. Sombath steigt aus und wird einige Minuten später in ein weisses Pick-up-Fahrzeug eskortiert und weggefahren. Ng nahm geistesgegenwärtig ihr Handy hervor und filmte mit. Das so entstandene Video deutet darauf hin, dass der Entwicklungshelfer und Aktivist vom Sicherheitsapparat des kommunistischen Einparteistaats verschleppt wurde.
Gespaltener Führungszirkel
Der studierte Agronom hatte 1996 die laotische Entwicklungsorganisation PADETC gegründet, die verschiedene Lernzentren betreibt. Die Palette reicht von der Ausbildung in ökologischer Fischzucht bis zur Schulung von dörflichen Kunsthandwerkern, damit diese ihre Produkte gezielter vermarkten können. Zudem hilft PADETC anderen Organisationen dabei, ihre Managementkapazitäten zu stärken. Sombath, der zuvor in den Diensten des Uno-Kinderhilfswerks (Unicef) stand, habe stets mit staatlichen Stellen kooperiert, betont seine Frau. Der 2005 mit dem Magsaysay-Preis, einer asiatischen Version des Friedensnobelpreises, ausgezeichnete Sombath arbeitete innerhalb des Systems für Reformen. Nie hätte sich der 61-Jährige mit einem Protestplakat vor ein Regierungsgebäude gestellt, sagt eine Bekannte. Umso grösser war der Schock nach Sombahts mysteriösem Verschwinden; einige Mitarbeiter von Hilfswerken setzten sich vorübergehend nach Thailand ab.
Mehrere Quellen bringen die Entführung in Zusammenhang mit einem Forum von Nichtregierungsorganisationen (NGO) im Vorfeld des Gipfels asiatischer und europäischer Staats- und Regierungschefs (Asem-Treffen) vom November 2012. In Kooperation mit der Uno hatte Sombath für diesen Anlass eine Befragung durchgeführt, an der sich von Arbeitern über Geschäftsleute bis zu Mönchen und Beamten Akteure unterschiedlichster Schichten beteiligten. Angelehnt an das von Butan entworfene Konzept des «Bruttoinlandglücks», wonach die Zufriedenheit der Bevölkerung dem Wirtschaftswachstum vorzuziehen sei, sollten die Sorgen und Nöte der Laoten aufgezeigt werden.
Die Befragten wünschten sich unter anderem eine transparentere Regierung und mehr Mitsprache bei Infrastrukturprojekten. In einem von Sombath unterzeichneten Dokument wurde die Staatsführung zu einer «konstruktiven Antwort» ermuntert, damit ein nationaler Dialog entstehen könne. Obwohl die Erhebung mit dem Wissen des Machtapparats erfolgte, schien das Unterfangen den Hardlinern im Politbüro zu weit zu gehen. Für das Glück des Volkes fühlen sie sich alleine zuständig.
Vieles deutet laut Diplomaten in Vientiane auf einen Richtungskampf in der laotischen Nomenklatura hin. Die progressiven Kräfte, die oft im Ausland studiert hätten, trieben die Öffnung des nicht nur geografisch isolierten Landes voran. Mit dem Slogan «Simply Beautiful» vermarktete sich Laos im vergangenen Jahr als verwunschenes Kleinod mit urtümlichen Bergvölkern und sanftmütigen Mönchen. Der Tourismus florierte wie nie zuvor. Der ebenfalls 2012 erfolgte Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO), die Ausrichtung des Asem-Gipfels sowie das dazugehörende «Asia-Europe People’s Forum» wurden als wichtige Wegmarken für Laos Reformkurs gedeutet. Neben zahlreichen asiatischen Regierungschefs reisten für den Gipfel auch der französische Staatspräsident Hollande, EU-Ratspräsident van Rompuy, die Schweizer Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf sowie Deutschlands Aussenminister Westerwelle an. Monate zuvor hatte Hillary Clinton dem früheren Feindesland einen Besuch abgestattet; den ersten eines amerikanischen Aussenministers seit über einem halben Jahrhundert.
Verdrängt wurde aber womöglich, dass in Laos die Kalten Krieger nicht ausgestorben sind und selbst Advokaten eines Reformkurses primär die wirtschaftliche Dimension im Auge haben. Das dem Politikertreffen vorangestellte «Asia-Europe People’s Forum» sandte auf jeden Fall widersprüchliche Signale aus. Laos Aussenminister Thongluon Sisoulith sparte nicht mit warmen Worten für die Repräsentanten der laotischen Zivilgesellschaft. Derweil schüchterten Geheimdienstler, die an der Veranstaltung ostentativ fotografierten und Wortmeldungen aufzeichneten, das lokale Publikum ein. Mehrere laotische Gruppierungen erhielten später Besuch der «dunklen Macht», wie der Sicherheitsapparat, der die Bürokratie durchdringt, von den Laoten genannt wird.
Eine Woche vor Sombaths Entführung war die andere treibende Kraft hinter der NGO-Konferenz, die Geschäftsführerin des Schweizer Hilfswerks Helvetas in Laos, des Landes verwiesen worden. Anne-Sophie Gindroz hatte in einem Brief an Donatoren und Entwicklungspartner beklagt, dass es in diesem Einparteistaat wenig Raum für eine sinnvolle Debatte gebe.
Nette, nutzlose Erklärungen
Offenkundig von der Empörung überrascht, die das Verschwinden Sombaths auf internationaler Ebene auslöste, bestritt die laotische Regierung, damit etwas zu tun zu haben. Sie insinuierte, der renommierte Entwicklungshelfer sei womöglich in einen persönlichen oder geschäftlichen Konflikt verwickelt gewesen; eine These, die nicht nur seine aus Singapur stammende Ehefrau Ng Shui Meng für völlig abwegig hält, zumal Sombath nie irgendwelchen Geschäften nachgegangen sei. Auch Indizien auf persönliche Konflikte gibt es keine. Hätte die Regierung tatsächlich eine weisse Weste, würde sie wohl das Angebot ausländischer Experten, das unter Verschluss gehaltene Original-Video mit neuesten Technologien auszuwerten, kaum so vehement ablehnen.
Beobachter in Vientiane glauben, dass eine Verhaftung Sombaths, der wegen gesundheitlicher Probleme medizinische Betreuung braucht, nicht zwingend von oberster Stelle angeordnet wurde. Womöglich handelten Teile des Sicherheitsapparats aus eigenem Antrieb, ohne explizite Billigung des Politbüros. Doch präsentiert sich das Regime jetzt als geschlossene Front. «Unmittelbar nach Sombaths Verschwinden signalisierten liberal gesinnte Kräfte Unverständnis. Inzwischen haben sich die Reihen aber geschlossen», fasst Ng Shui Meng ihre Erfahrungen mit offiziellen Stellen zusammen. Die Beteuerungen der Behörden, in der Causa Sombath werde intensiv ermittelt, wirken wenig glaubwürdig. Ng Shui Meng wurde von offiziellen Stellen mit höflich formulierten, aber nutzlosen Antworten abgefertigt.
Nicht besser erging es ausländischen Emissären, die in Vientiane nachbohrten. Die Laoten hätten lächerliche Lügen aufgetischt, schimpfte der dänische EU-Parlamentarier Soren Bo Sondergard nach Gesprächen einer offiziellen Delegation des Europäischen Parlaments im August. Zwei frühere Missionen von EU-Parlamentariern endeten ebenfalls ergebnislos. Der Aussenminister der Vereinigten Staaten, John Kerry, forderte die Behörden mit Nachdruck auf, das Schicksal Sombaths zu klären. Amerikas Botschafterin in Vientiane liess auf dem Gelände der diplomatischen Vertretung ein riesiges Banner mit dem Konterfei Sombaths, der in den siebziger Jahren auf Hawaii studiert hatte, montieren. Gleichzeitig stellte die Botschaft klar, der Vermisste besitze keine amerikanische Staatsbürgerschaft. Der Umstand, dass der Entwicklungsexperte nach der kommunistischen Machtübernahme von 1975 freiwillig in seine Heimat zurückkehrte, setzte Sombath dem Verdacht aus, er könnte ein Spion Washingtons sein – eine Unterstellung, für die es keine glaubwürdigen Hinweise gibt.
Gewohnheitsmässiges Töten
Wenngleich Sombath sich nie als Dissident verstand, dürfte sein Engagement für die Rechte der Landbevölkerung Teile der kommunistischen Obrigkeit verärgert haben. Insbesondere in den Grenzregionen zu Vietnam und China, wo Unternehmen der beiden Nachbarstaaten expandieren wollen, nehmen die Klagen über Landraub und Zwangsumsiedlungen zu. 2007 verschwand im nordlaotischen Luang Namtha ein Hotelier, der sich wegen der Landvergabe an chinesische Plantagenbesitzer und damit zusammenhängenden Enteignungen exponiert hatte. Von Sompawn Khantisouk, der auf einer Strasse abgedrängt und wie Sombath in einem Pick-up-Fahrzeug weggebracht worden war, fehlt jede Spur.
Im Weiteren gibt es zahlreiche Hinweise, dass die laotischen Machthaber nicht davor zurückschrecken, angebliche Systemfeinde im Ausland zu ermorden. Gemäss einer von der «New York Times» zitierten Studie der Chulalongkorn-Universität in Bangkok sind in den vergangenen 20 Jahren mehr als 20 laotische Bürger in Thailand aus politischen Gründen umgebracht worden; unter anderem ein regierungskritischer Mönch und ein Mitglied der nach dem Regimewechsel von 1975 abgesetzten Königsfamilie.
Gerieten offenkundig von der Staatsmacht angeordnete Entführungen oder Tötungen meist schnell in Vergessenheit, hält Sombaths international gut vernetzte Frau den Druck auf die Behörden aufrecht. Ng Shui Meng, die weiterhin in Vientiane wohnt, geht davon aus, dass sie überwacht wird. Wenn die Behörden eine Beschattung für angezeigt hielten, sollten sie das tun, erklärt die Singapurerin lakonisch. Sie habe nichts zu verbergen. Viele Laoten sind derweil verängstigt; dies bekommt Ng täglich zu spüren. Personen, die mit ihr früher auf der Strasse ein paar Worte wechselten, gehen jetzt mit starrem Blick an ihr vorbei.
→ Schikanen und Einschüchterung
Die Verschleppung des laotischen Entwicklungshelfers und Aktivisten Sombath Somphone hat die im Entwicklungsland tätigen Nichtregierungsorganisationen (NGO) stark verunsichert. Mit Sombath traf die Repression einen der bekanntesten Vertreter der Zivilgesellschaft. Viele sehen darin eine Warnung des Sicherheitsapparats, zumal die Entführung mit einem repressiveren Kurs des kommunistischen Einparteistaats zusammenfällt. Führte die Bürokratie die Hilfswerke zuvor an der langen Leine, wie sich ein europäischer Mitarbeiter ausdrückt, würden neuerdings Strategiepapiere ideologisch streng durchleuchtet. Unliebsame Begriffe wie Landrechte streichen die Kontrolleure heraus. Reiseanträge werden unerwartet abgelehnt, Visa ausländischer Mitarbeiter nicht mehr erneuert und Entwicklungsprojekten Steine in den Weg gelegt. Im September wurde die Geschäftsführerin der Asia Foundation – einer in Amerika ansässigen Stiftung – des Landes verwiesen.
Noch härter als bisher werden die Medien an die Kandare genommen. Der Moderator einer Google-Gruppe, die sich über das Geschehen in Laos austauscht, wurde ermahnt, die Beiträge strikt zu überwachen. Ein Geschäftsmann, der seit Jahren in Vientiane lebt, vermutet, einzelne Bürokraten wollten sich im gegenwärtigen Klima der Verunsicherung als lupenreine Kommunisten beweisen.
Dass der Sicherheitsapparat Anlass zu einem härteren Vorgehen gegen angebliche Staatsfeinde sieht, lässt sich aus den paranoid anmutenden Äusserungen des Verteidigungsministers herauslesen. Generalleutnant Duangchay Phichit sprach in einer Rede zum Tag des Militärs von destabilisierenden Aktivitäten nicht genauer bezeichneter Gruppierungen, die vorgäben, einen friedlichen Wandel herbeizuführen.